Di Tella en los medios
IPG
7/07/15

Solche Gipfel braucht niemand mehr

Statt auf rhetorische Sprechblasen, sollten die EU und Lateinamerika lieber auf konkrete Schritte der Zusammenarbeit setzen.

Das vor kurzem in Brüssel abgehaltene neue Gipfeltreffen der Europäischen Union und der Gemeinschaft der Lateinamerikanischen und Karibischen Staaten fand unter dem ehrgeizigen Motto: „Lasst uns unsere gemeinsame Zukunft gestalten“ statt. Aber war das ein realistischer Wunsch? Gab es dafür schon ein festes Fundament? Im Allgemeinen werden Intensität und Tiefe der Beziehungen zwischen Europa und Lateinamerika nicht nur übertrieben, sondern auch ungenau dargestellt.

Es stimmt: Acht der G-20-Staaten kommen aus dem Raum der EU-CELAC. Aber nur drei stammen aus Lateinamerika. Und die Positionen der lateinamerikanischen und europäischen Mitglieder stimmen nicht unbedingt überein. Es stimmt, dass die EU der zweitwichtigste Handelspartner der CELAC ist. Doch konzentriert sich der bi-regionale Handel auf einige wenige Länder. Besonders von Europa aus wird behauptet, dass die europäisch-lateinamerikanisch-karibischen Gipfeltreffen ein Beispiel für eine „strategische Partnerschaft“ seien. Doch zweifellos herrscht im Hinblick auf die Bezeichnung „strategisch“ eine gewisse Verwirrung vor. Es überlappen sich mehrere strategische Partnerschaften mit anderen Regionen und Ländern. Dies gilt sowohl für die Länder der EU als auch für die Länder der CELAC, so dass der Begriff inzwischen zu einer Worthülse verkommen ist.

Die größte Frage, die dem Brüsseler Treffen vorausging, lautete in Wahrheit: Wird es gelingen, ein Treffen zu vermeiden, das genau verläuft wie so viele Treffen der letzten Jahre? Denn: Die Daseinsberechtigung dieser Gipfel wird immer geringer. Sie konzentrieren sich nicht auf ein spezifisches Thema und verlieren an Relevanz, weil die heimische Dynamik sie zu einer rhetorischen Übung verkommen lässt, mit der die jeweilige heimische öffentliche Meinung zufriedengestellt werden soll.

Ganz anders dagegen das erste Ministertreffen der CELAC und Chinas im Januar 2015 in Beijing. China verpflichtete sich, seine Investitionen in der Region in den nächsten zehn Jahren um 250 Milliarden US-Dollar zu erhöhen und in diesem Zeitraum den Handel mit der Region auf 500 Milliarden US-Dollar zu verdoppeln. Beijing hat seine Expansionsabsichten bestätigt. Doch es will sich nicht in die inneren Angelegenheiten der Länder einmischen und hat ein dickes Scheckheft aus der Tasche gezogen. Lateinamerika und die Karibik weisen, wenn es um den Dialog mit China geht, keine ideologischen Differenzen auf, und keiner der Teilnehmer misst dabei Fragen wie der Demokratie besondere Bedeutung bei: Vorrang haben die materiellen Interessen beider Seiten.

Ist dies also das Modell für Gipfeltreffen der Zukunft, wie sie Lateinamerika und einige nichtwestliche Partner vorantreiben wollen? Ist dies das paradoxe Ergebnis der Jahrzehnte währenden Appelle des Westens an die Region nach mehr Pragmatismus?

Vor diesem Hintergrund stand der EU-CELAC-Gipfel vor einer beträchtlichen Herausforderung: Die Veränderungen in beiden Regionen, die globalen Machtverschiebungen, das Ausmaß der heimischen Herausforderungen auf beiden Seiten des Atlantiks, der Widerstand des Westens gegen die Umverteilung von Reichtum und Einfluss haben dazu beigetragen, dass beide Seiten unterschiedliche Strategien wählen. Es bestehen durchaus noch Schnittstellen in Werten und Prioritäten. Doch die positiven Anreize haben abgenommen, Europa und Lateinamerika/Karibik auf eine konzertierte Agenda zu verpflichten.

Auch vor dem Hintergrund der Krise des Multilateralismus erweisen sich die Gipfel als immer fragwürdiger, denn sie sind nicht in der Lage, zentrale Fragen der Weltpolitik anzugehen und zu lösen. Die Legitimitätsdefizite und die institutionelle Lähmung verschiedener internationaler Organisationen stellen eine beträchtliche Schwierigkeit dar, und es zeichnet sich kein Erstarken global wirkender multilateraler Beziehungen am Horizont ab. Zweitens befindet sich die Integration derzeit an einem heiklen Punkt, an dem es fast so aussieht, als würde das Desintegrationspotenzial wachsen. In Europa und Lateinamerika zeichnet sich, aus unterschiedlichen Gründen, aber mit ähnlichen Auswirkungen, ein Rückschritt in der Integration ab. In dieser Hinsicht werden die intra- und bi-regionalen Gipfel von verschiedenen sozialen und politischen Akteuren nicht als geeignetes Instrument gesehen, eine Fragmentierung zu verhindern.

Drittens lebt die Souveränität als politische Kategorie in vieler Hinsicht fort. Juristen und Wirtschaftswissenschaftler, seien sie progressiv oder neoliberal, können noch so sehr behaupten, dass die Souveränität in der heutigen Welt irrelevant sei – sie übertreiben. Die Souveränität hat keineswegs ausgedient.

Viertens muss man mögliche Änderungen der strategischen Interessen zentraler Akteure berücksichtigen. Dies lässt sich zum Beispiel an der Versuchung festmachen, die eigenen nationalen Interessen (und die bestimmter Gruppen) über die gemeinsamen regionalen und bi-regionalen Interessen zu stellen und Gewinne individuell zu monopolisieren. Was die EU betrifft, muss eine solche mögliche Änderung der strategischen Interessen im Falle Deutschlands analysiert werden. Im Falle Lateinamerikas muss man sich anschauen, was in Brasilien geschieht. Das Modell der Gipfeltreffen war in der Vergangenheit abhängig von den Präferenzen und der Politik der wichtigsten Akteure jeder Region und dies wird auch in Zukunft so sein.

Das Brüsseler Treffen machte deutlich, dass die EU-CELAC-Gipfel auch in Zukunft für den Typus der Gipfeltreffen der Vergangenheit stehen werden, wenn es ihnen nicht gelingt, deutliche Impulse für Zukunftsthemen zu setzen. Hierfür müssen so schnell wie möglich gemeinsame Interessen identifiziert, übereinstimmende Stellungnahmen gefördert und für beide Seiten zutreffende Leitbilder definiert werden.

Energie könnte ein Hauptthema sein. Europa muss seine Abhängigkeit vom Mittleren Osten und von Russland verringern, und Lateinamerika verfügt nicht nur über umfangreiche Reserven konventioneller fossiler Brennstoffe, sondern auch über große Off-Shore-Vorkommen sowie über Schiefergas und -öl.

Zweitens wäre es vielversprechend, wenn sich Europäer, Lateinamerikaner und Karibikbewohner auf einige Grundsätze und Positionen in der Drogenfrage einigen könnten. Dies wäre auch angesichts der von den Vereinten Nationen für April 2016 einberufenen Sondersitzung der Generalversammlung wichtig. Es genügt nicht, die Kernaussage bisheriger bi-regionaler Dokumente zu wiederholen. Da es schon einen Koordinations- und Kooperationsmechanismus für Drogenfragen bei der EU-CELAC gibt, ist es an der Zeit, dass beide Regionen angemessene und umsetzbare Initiativen ergreifen: Neue Wege anstelle von Repression, Regulierung anstelle von Verbot. Das wäre ein Schritt zugunsten der Auffrischung der Beziehungen zwischen Europäern, Lateinamerikanern und Karibikbewohnern.

Drittens wäre es vorteilhaft, unter Beteiligung von Akteuren der Zivilgesellschaft beider Regionen ein permanentes Forum zum Thema Menschenrechte zu bilden. Weder ist Europa bei diesem Thema moralisch überlegen, noch sollten zwei Regionen der Welt, die in den letzten Jahrzehnten so viel zur internationalen Förderung der Menschenrechte beigetragen haben, ihre Beziehungen dem Druck unnachgiebiger Gruppen auf beiden Seiten des Atlantiks aussetzen. Weder Zynismus noch Passivität dürfen verhindern, dass das Thema Menschenrechte wieder einen hervorragenden Platz im politischen Dialog zwischen Europa, Lateinamerika und der Karibik einnimmt.

Bevor man also mit großen Sprüchen eine „gemeinsame Zukunft“ proklamiert, sollte man auf Rhetorik verzichten und geduldig die abgenutzten und kaum noch tragfähigen Brücken der europäisch-lateinamerikanisch-karibischen Beziehungen wieder aufbauen.

(*) Direktor der Fakultät für Politikwissenschaft und Internationale Studien an der Torcuato Di Tella, Buenos Aires, Argentinien.